Was kommt da auf uns zu, Herr Schleweis?

Die globalen Herausforderungen können nur durch eine umfangreiche Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gemeistert werden. Eine große Aufgabe, die nur gemeinsam bewältigt werden kann: Ein Gespräch mit DSGV-Präsident Helmut Schleweis, der in der Transformation eine Chance sieht.

Pandemie, Flutkatastrophe, Ukraine-Krieg: Die Welt scheint im Krisenmodus. Ist da überhaupt noch Zeit und Raum für nachhaltiges Denken?

Nachhaltigkeit ist mehr denn je gefordert. Gerade die aktuellen Entwicklungen zeigen, wie wichtig es ist, eine gesellschaftliche und ökonomische Ordnung aufzubauen, die krisenfest, zukunftssicher und gerecht ist. Aber Nachhaltigkeit ist kein statischer, sondern ein dynamischer Begriff: Er beschreibt einen fortlaufenden Prozess, der auf allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft greifen muss. Der Umbau zu mehr Nachhaltigkeit ist wahrscheinlich das größte Investitionsprogramm der Dekade. Die Erneuerung kann nur gelingen, wenn möglichst alle Bürgerinnen und Bürger am Umbau beteiligt sind und davon profitieren. Wir brauchen daher ein neues Wohlstandsversprechen, analog zu Ludwig Erhards Motto vom „Wohlstand für alle“, mit dem er zu Beginn der Bundesrepublik die Einführung der sozialen Marktwirtschaft begründete. Dieser Grundsatz sollte auch heute unsere Leitlinie sein, allerdings neu interpretiert unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit: Gemeinsam verändern wir unser Land und erhalten so unseren Wohlstand.

Was bedeutet das für die Sparkassen?

Sparkassen sind gegründet worden, um allen Menschen wirtschaftliche und damit soziale Teilhabe zu ermöglichen. Dazu gehört heute auch, neben den ökonomischen die ökologischen Lebensgrundlagen zu sichern. Das ist eine große geschäftspolitische Herausforderung und Chance für die Sparkassen. Wir sind Mitglied dieser Gesellschaft und müssen daher auch bei dieser Herausforderung unseren Teil zur Lösung beitragen. Insofern haben wir die Nachhaltigkeitsaspekte stärker in den Mittelpunkt unserer Kommunikation und unserer täglichen Arbeit gestellt. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Wir haben in jeden Beratungsprozess zum Thema Wertpapiere auch Nachhaltigkeitsangebote eingebettet. Es ist unser Auftrag, die Vermögensbildung zu stärken. Deshalb beteiligen wir unsere Kunden an den Chancen von Veränderungen.

Sie haben gesagt, dass die ökologische Transformation auch zu einer Stärkung der Regionalität führen kann. Warum ist das so?

Ob der nachhaltige Wohlstand bei den Menschen ankommt, entscheidet sich auf der lokalen Ebene, in den Städten und Regionen. Darum ist die Stärkung regionaler Kreisläufe besonders wichtig. Gerade Mittelständler und Familienunternehmen sind oft echte Motoren der Transformation in ihrem unmittelbaren Umfeld. Immer mehr mittelständische Unternehmen in Deutschland entdecken, dass Nachhaltigkeit als Antrieb für Innovation und die Erschließung neuer Geschäftsfelder dienen kann. In vielen Bereichen haben sie sich bereits als Markt- und Technologieführer etabliert. Bei Klimaschutzgütern hat der deutsche Mittelstand das Potenzial zum Wegbereiter.

In vielen Unternehmen galt Nachhaltigkeit vor allem als Verpflichtung zu mehr Aufwand und Komplexität. Ändert sich das?

Mein Eindruck ist, dass die meisten Unternehmen die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation durchaus erkannt haben. Wir haben aus Anlass des S-Mittelstandsindex im vergangenen Herbst eine Umfrage unter den Firmenkundenexperten der 371 Sparkassen initiiert. Das Ergebnis war ermutigend. Zwei Drittel der Befragten berichten, ihre Firmenkunden sähen den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft als Chance. Nur für rund 20 Prozent überwiegen die Risiken. Mehr als die Hälfte der befragten Experten berichten außerdem, dass ihre Firmenkunden bereits konkrete Maßnahmen ergriffen hätten, zum Beispiel Investitionen in CO2-effiziente Produktionstechnologien.

Fragt man nach den Treibern des Wandels, dann sind es drei Hauptgründe, aus denen sich Unternehmen aktuell mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Da sind zunächst Imagegründe, gefolgt von regulatorischen Anforderungen, die sich zum Beispiel aus den Berichts- und Transparenzanforderungen der EU, aber auch nationaler Regelungen wie dem Bundesklimaschutzgesetz oder dem Lieferkettengesetz ergeben. Und drittens: Die gesellschaftliche Verantwortung. Zusätzliche Geschäftspotenziale, Kosteneinsparungen oder Konkurrenzdruck spielen noch eine untergeordnete Bedeutung. Unsere Erwartung ist aber, dass sich die Reihenfolge dieser Gründe ändern wird. Mit einer Intensivierung der politischen Maßnahmen, wie zum Beispiel einer erhöhten Bepreisung der Treibhausgasemissionen oder der Taxonomie, wird das Kostenargument, zum Beispiel bei der Finanzierung von Investitionen, eine zunehmende Relevanz erlangen.

Was leisten die Sparkassen, um den Transformationsprozess voranzubringen?

Die Sparkassen-Finanzgruppe will aktiv den Klimaschutz voranbringen und dazu beitragen, dass Deutschland ein führender Sustainable-Finance-Standort wird. Daher finanzieren wir nicht nur dort, wo heute schon Grün drin ist. Wir engagieren uns auch dort, wo die ökologische Transformation erst noch gelingen muss. Das Leistungsangebot der Sparkasse-Finanzgruppe beinhaltet nicht nur eine große Bandbreite integrierbarer Finanzierungslösungen, sondern umfasst auch die Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle – sowie die Beratung in Sachen effizientem, ressourcenschonenden Arbeiten: eine maßgebliche Komponente im Rahmen der nachhaltigen Transformation, die für jedes Unternehmen relevant ist.

Kredite in Branchen mit erhöhten und hohen Nachhaltigkeitsrisiken erfordern in Zukunft eine besondere Begründung. Bei der Einschätzung von ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit zahlt sich die Nähe der Sparkassen zu ihren Kunden besonders aus. Nur mit einem tiefen Verständnis des Geschäftsmodells eines Unternehmens lassen sich Entwicklungspotenziale erkennen und Nachhaltigkeitsrisiken treffsicher beurteilen. Mit dem Sparkassen-ESG-Score steht ein besonders zuverlässiges Modell zur Verfügung, das die durchschnittliche Betroffenheit einer Branche von Nachhaltigkeitsaspekten misst. Dabei werden nicht nur ökologische Kriterien berücksichtigt: Neben Treibhausgasemissionen gehen auch Aspekte wie angemessene Entlohnung und faire Bedingungen am Arbeitsplatz ein.

Auf politischer Ebene gibt es derzeit viele Anstrengungen, durch politische Vorgaben den Rahmen für eine nachhaltige Transformation abzustecken. Wie sinnvoll sind diese Bemühungen?

Wir brauchen eine Regulatorik mit Augenmaß und Praxistauglichkeit – gerade beim Thema Nachhaltigkeit. Die Taxonomie-Verordnung der EU hat Kriterien und Messwerte festgelegt, die Klarheit zu zentralen Umsetzungsfragen der ökologischen Nachhaltigkeit schafft. Das ist zu begrüßen. Allerdings stellt die hohe Komplexität eine riesige Herausforderung für die Anwender der Taxonomie dar. Real- und Finanzwirtschaft benötigen Kriterien, die klar, schlank und in der Praxis einfach umsetzbar sind.

Ich bin der Auffassung, dass sich Wettbewerb mehr bewährt als Regulierung. Die Transformation ist eine Chance, aber sie wäre über Marktmechanismen eher zu regeln als über Bürokratie. Regionalbanken und Sparkassen dürfen nicht durch überbordende Regulatorik davon abgehalten werden, Unternehmen bei der dringend notwendigen Transformation zu begleiten. Gerade in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten ist Dezentralität ein wesentlicher Faktor für Flexibilität und Stabilität: Selbständig handelnde Vorstände justieren überall in Deutschland die Geschäftspolitik so, dass Energiewende und Dekarbonisierung vor Ort gelingen können. Gleichwohl gilt: Viele mittelständische Unternehmen in Deutschland werden künftig ausführlich darüber berichten müssen, welche Beiträge zur Transformation sie leisten, wie sie Nachhaltigkeit in Beschaffung und Produktion umsetzen. Die auf den Weg gebrachte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU ist da sehr dezidiert, umfassend und anspruchsvoll. Die Sparkassen haben in den vergangenen Jahren durch ihre eigene Nachhaltigkeitsberichterstattung sehr viele Erfahrungen sammeln können, die wir gerne mit unseren Kunden teilen.