Ein Interview mit dem DSGV-Präsidenten

Umbau der Wirtschaft. Was kommt da auf uns zu, Herr Schleweis?

„Transformation ist eine Chance“

Die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine globale Herausforderung. Sie gelingt aber nur mit dem Handeln vor Ort, in den Regionen. Welche Beiträge die Sparkassen hierbei leisten und leisten wollen, erläutert DSGV-Präsident Helmut Schleweis.

Herr Schleweis, die Welt befindet sich im Krisenmodus: Pandemie, Flutkatastrophe, Ukraine-Krieg – ist überhaupt noch Zeit und Raum für nachhaltiges Denken?

Gerade die aktuellen Entwicklungen zeigen, wie wichtig es ist, eine gesellschaftliche und ökonomische Ordnung aufzubauen, die krisenfest, zukunftssicher und gerecht ist. Nachhaltigkeit muss als fortlaufender Prozess auf allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft greifen. Dieser Prozess erfordert riesige Investitionen. So müssen die deutschen Unternehmen bis 2030 etwa 860 Mrd. Euro zusätzlich investieren, um allein die notwendigen Verringerungen beim CO2-Ausstoß zu erreichen. Die Erneuerung wird aber nur gelingen, wenn möglichst alle Bürgerinnen und Bürger am Umbau beteiligt sind und davon letztlich profitieren.

Was bedeutet das für die Sparkassen?

Es ist der Gründungsauftrag der Sparkassen, möglichst allen Menschen wirtschaftliche und damit auch soziale Teilhabe zu ermöglichen. Dazu gehört es, neben den ökonomischen die ökologischen Lebensgrundlagen zu sichern. Die Institute haben daher Nachhaltigkeitsaspekte in den Mittelpunkt ihrer täglichen Arbeit gestellt. Nur ein Beispiel: Die Sparkassen haben im Jahr 2021 als erster Anbieter die Nachhaltigkeit verbindlich in die Beratungsprozesse zur Geldanlage integriert. Denn über das Wertpapiersparen haben die Menschen die Möglichkeit, bereits mit kleinen Beträgen am nachhaltigen Umbau unserer Wirtschaft zu partizipieren.

Nachhaltigkeit ist letztlich eine globale Herausforderung. Welche Rolle spielen regionale Kreditinstitute?

Nachhaltige Transformation beginnt auf der lokalen Ebene, in den Städten, Gemeinden und Landkreisen. Gerade Mittelständler und Familienunternehmen sind oft Motoren der Transformation in ihrem unmittelbaren Umfeld. Einige von ihnen entdecken, dass Nachhaltigkeit als Antrieb für Innovation und das Erschließen neuer Geschäftsfelder dienen kann. Die Sparkassen fördern solche Unternehmen und tragen zur Stärkung regionaler Kreisläufe bei.

Viele Unternehmen verbinden Nachhaltigkeit aber bisher auch mit Aufwand und Komplexität. Oder ändert sich das?

Mein Eindruck ist, dass die meisten Unternehmen die Notwendigkeit einer nachhaltigen Transformation erkannt haben. In einer Umfrage für den S-Mittelstands-Fitnessindex 2022 berichten zwei Drittel der Firmenkundenexpertinnen und -experten aus den Sparkassen sogar, ihre Firmenkunden sähen den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft als Chance. Und mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihre Firmenkunden bereits konkrete Maßnahmen ergriffen hätten, etwa Investitionen in CO2-effiziente Produktionstechnologien.

Der „Treiber“ des Wandels sind also nicht in erster Linie regulatorische Vorgaben?  

Der Hauptgrund, aus dem sich Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, sind demnach Reputationsgründe. Erst dann folgen regulatorische Anforderungen, die sich etwa aus den Berichts- und Transparenzanforderungen der EU, aber auch aus nationalen Regelungen wie dem Bundesklimaschutzgesetz oder dem Lieferkettengesetz ergeben. Als dritten Beweggrund nennen die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung. Zusätzliche Geschäftspotenziale, Kosteneinsparungen oder Konkurrenzdruck spielen noch eine untergeordnete Rolle.

Wir erwarten aber, dass sich die Gewichtung dieser Gründe ändern wird. Mit einer Intensivierung der politischen Maßnahmen, wie einer erhöhten Bepreisung der Treibhausgasemissionen oder der Taxonomie, wird das Kostenargument, zum Beispiel bei der Finanzierung von Investitionen, eine zunehmende Relevanz erlangen.

Was leisten die Sparkassen, um die Transformationsprozesse voranzubringen?

Die Sparkassen finanzieren nicht nur Unternehmen, die bereits „grün“ sind. Sie wollen sich auch dort engagieren, wo die ökologische Transformation erst noch gelingen muss. Die Institute wollen den Unternehmen helfen, ihre Geschäftsmodelle nachhaltig auszurichten; indem sie die Unternehmerinnen und Unternehmer ansprechen und Handlungsbedarfe klären, gegebenenfalls auch im Zusammenwirken mit entsprechenden Fachleuten. Und indem sie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten anbieten.

Mit dem Sparkassen-ESG-Score sind die Expertinnen und Experten der Sparkassen auch in der Lage, die durchschnittliche Betroffenheit der Unternehmen verschiedener Branchen von Nachhaltigkeitsaspekten zu erkennen. Hierbei werden neben ökologischen Kriterien wie Treibhausgasemissionen auch Aspekte wie angemessene Entlohnung und faire Arbeitsbedingungen berücksichtigt. Die Sparkassen müssen übrigens auch deshalb gut über den Nachhaltigkeitsstand der Unternehmen beziehungsweise ihrer Firmenkunden informiert sein, weil Kredite in Branchen mit erhöhten und hohen Nachhaltigkeitsrisiken in Zukunft eine besondere Begründung erfordern.

Die Politik will durch immer neue Vorgaben den Rahmen für eine nachhaltige Transformation abstecken. Wie sinnvoll ist das?

Wir brauchen eine Regulatorik mit Augenmaß – gerade beim Thema Nachhaltigkeit. Die Taxonomie-Verordnung der EU hat Kriterien und Messwerte festgelegt, die eine gewisse Klarheit zu zentralen Umsetzungsfragen der ökologischen Nachhaltigkeit schaffen. Allerdings ist die hohe Komplexität eine große Herausforderung in der Anwendung der Taxonomie.

Und vor allem wird mit diesem Instrument die Hauptaufgabe der Sparkassen und Regionalbanken – möglichst viele kleine Unternehmen und auch Kommunen im Umstellungs- und Anpassungsprozess zu begleiten – weder angeleitet noch abgebildet. Unternehmen und Kreditwirtschaft benötigen aber Kriterien, die praxisgerecht, klar und einfach umsetzbar sind.

Ich bin aber ohnehin der Auffassung, dass es besser ist, wenn sich Gesellschaft, Politik und Wirtschaft auf gemeinsame Ziele verständigen, und dass die Unternehmen dann im Wettbewerb untereinander entsprechende Lösungen im Markt entwickeln. Auf diese Weise lassen sich bessere Ergebnisse erzielen als durch detaillierte Vorgaben durch die Politik.