Circular Economy
Wenn die Wirtschaft sich im Kreis dreht
„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“, sagte der französische Künstler Francis Picabia. Was für das Denken gilt, sollte auch als Maßstab für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt gelten: Die Ökonomie der Zukunft ist nicht linear, sondern zirkulär. Sie folgt dem Modell einer Kreislaufwirtschaft, die Materialien und Produkte nicht einfach nur aufbraucht und dann entsorgt, sondern so lange und so oft wie möglich in den Wirtschaftskreislauf zurückführt – durch Recycling und Reparatur, durch Leasing, Mieten oder Teilen.
Das verlangt auf vielen Ebenen des Wirtschaftssystems ein Umdenken und eine Richtungsänderung. Unsere Ökonomie ist vielfach noch eine Wegwerfökonomie: Gewinn erwirtschaften Unternehmen in erster Linie dadurch, dass sie möglichst viele neue Produkte verkaufen. Daher spielen Langlebigkeit und Reparierbarkeit in der Entwicklung und Herstellung von Produkten nur eine untergeordnete Rolle. Allerdings gehen die Ressourcen, die für die Produktion eingesetzt werden, allmählich zur Neige. Pandemie und Krieg haben außerdem gezeigt: Ein Wirtschaftssystem, das einseitig auf dem Einsatz primärer Ressourcen fußt, birgt auch das Risiko politischer Abhängigkeiten und der Volatilität schwankender Rohstoffpreise. Zugleich steigt das Müllaufkommen in Industrie- und Schwellenländern: Allein in den Ländern der Europäischen Union werden jährlich über 2,5 Milliarden Tonnen Abfall produziert – über 90 Prozent davon in der Industrie.
Gesetzliche Vorgaben zum Umgang mit Abfall
Die Europäische Union will das ändern. 2018 wurde das EU-Kreislaufwirtschaftspaket verabschiedet, das gesetzliche Vorgaben zur Vermeidung und zur Wiederverwendung von Abfall macht. Die Bundesregierung hat diese Vorgaben übernommen: Sie waren Grundlage für die Novellierung des deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG). Dennoch kommt der Umbau des Wirtschaftssystems bisher nur langsam voran. „Der Anteil recycelter Materialien in der Industrie liegt in Deutschland bei zehn Prozent“, konstatiert Henning Wilts vom Wuppertal Institut. „Da liegen wir seit zehn Jahren. Deutschland ist zwar Recycling-Weltmeister und hat die beste abfallwirtschaftliche Infrastruktur, aber beim Thema Kreislaufwirtschaft sind wir Durchschnitt.“ Für Wilts liegt das Problem vor allem darin, dass der Fokus bisher nur auf einzelnen Aspekten des Wirtschaftskreislaufes liegt: „Die Kreislaufwirtschaftsdebatte ist in Deutschland noch zu sehr auf das Thema Abfallmanagement konzentriert“, also auf „Maßnahmen, die erst am Ende des Lebenszyklus von Produkten ansetzen“.
Für eine echte Kreislaufwirtschaft muss der gesamte ökonomische Zyklus in den Blick genommen werden. Das betrifft technische Aspekte wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Wiederverwertbarkeit von Produkten, die bereits im Entwicklungs- und Produktionsprozess berücksichtigt werden müssen. Notwendig sind aber auch neue Formen der Kooperation und Kommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Entwickler, Produzenten, Händler, Verbraucher und Entsorger müssen enger als bisher zusammenarbeiten, um gemeinsam optimierte Lösungen für die Herstellung, die Nutzung und die Entsorgung zu entwickeln.
Aufholbedarf in Deutschland
Andere Staaten sind da durchaus weiter, vor allem Skandinavien oder die Benelux-Länder. Dort gibt es beispielsweise steuerliche Anreize für Kreislaufsysteme, wie z.B. gesenkte Mehrwertsteuersätze für Geschäftsmodelle, die auf Verleih oder Recycling basieren. Grenzübergreifende Initiativen wie der Nordic Circular Hotspot versuchen außerdem, die kollaborativen Aspekte der Kreislaufökonomie zu stärken.
Deutschland hat da vielfach noch Aufholbedarf. In Wuppertal hat man sich aber schon mal auf den Weg gemacht: Die Stadt im Bergischen Land möchte sich als „Circular Valley“ etablieren, also als eine Art Silicon Valley der Kreislaufwirtschaft. Ein mit europäischen und Landesmitteln geförderter Akzelerator soll Start-Ups und etablierte Unternehmen zusammenbringen, um gemeinsam an neuen Lösungen für Fragen des Ressourceneinsatzes zu tüfteln. Initiator des Vorhabens ist der Bürgerverein „Wuppertalbewegung“, mit an Bord sind die NRW.Bank und die Stadtsparkasse Wuppertal, rund 3,6 Millionen Euro an Fördermitteln stehen zur Verfügung.
Wuppertal will Silicon Valley der Kreislaufwirtschaft werden
Das Projekt soll weit über die Stadtgrenzen hinaus wirken: Dr. Carsten Gebhardt, Vorsitzender der Wuppertalbewegung, hofft auf eine Strahlkraft, die die gesamte Rhein-Ruhr-Region erfasst. Dass die Region bis heute stark von ihrer industriellen Struktur geprägt wird, von Traditionsbranchen wie der Textilindustrie, der Metallverarbeitung oder dem Maschinenbau – ist für Gebhardt kein Nachteil, sondern sogar ein Vorzug: „Anders als andere Großregionen ist die Rhein-Ruhr-Region nicht bereits deindustrialisiert, sondern hat immer noch einen starken, industriellen Kern“, sagt er. „Diesen industriellen Kern braucht es, wenn man sich mit zirkulärer Wirtschaft beschäftigen möchte. Denn um Stoffkreisläufe zu schließen, braucht es zuallererst Rohstoffe und Produkte aus allen Branchen, allen Industrien und mehr oder weniger allen Stufen der Wertschöpfungskette.“
Auch bei der Stadtsparkasse setzt man darauf, dass die „Circular Valley“-Initiative beispielhaft für die gesamte Region sein wird: „Das Projekt handelt weit über die Grenzen Wuppertals hinaus“, sagt der Vorstandsvorsitzende Gunther Wölfges. „Es fördert durch innovative Ideen die Wirtschaft in der gesamten Rhein-Ruhr-Region, unterstützt maßgeblich Emissionen zu senken und trägt somit dazu bei, dass die Metropolregion für die hier über 10 Million lebenden und arbeitenden Menschen attraktiv bleibt. Wir freuen uns daher sehr, von Minute eins mit an Bord sein zu dürfen und das Projekt finanziell sowie ideell auf seinem Weg zu unterstützen.“
Kreislaufwirtschaft nutzt aber nicht nur alten Industrieregionen: Auch ländliche Räume können davon profitieren. Davon ist Katharina Wilkskamp überzeugt, die für die Bundesregierung ein Projekt zu den Potenzialen der Circular Economy leitet: „Der Ansatz der Kreislaufwirtschaft bietet gerade für ländliche Regionen in Deutschland und Europa große Möglichkeiten“, sagt sie. „So können Klein- und Mittelstädte in funktionalen Regionen von der Anwendung der Kreislaufwirtschaft profitieren, indem sie bspw. Reparatur und Recycling im Handwerk oder im produzierenden Gewerbe anwenden und neu denken.“
Potenzial auch für ländliche Regionen nutzen
Für das Bauministerium untersucht sie derzeit, wie sich die räumlichen Dimensionen der Kreislaufwirtschaft verlässlich analysieren lassen. Sie ist überzeugt davon, dass Wirtschaft sich im Kreis bewegen muss statt nur linear, um nachhaltiger, zukunftsfähiger und gerechter zu funktionieren: „Durch innovative Konzepte und integrierte sowie ortsbezogene Lösungen zur Anwendung der Kreislaufwirtschaft im ländlichen Raum kann langfristig ein Beitrag zur Verringerung von Disparitäten, zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes sowie zur Schaffung und zum Erhalt gleichwertiger Lebensverhältnisse geleistet werden.“