Hierarchiefreies Arbeiten
Die Zukunft der Arbeit auf Hanseatisch
Die Sparkasse Bremen hat mit ihrer Transformation in eine Netzwerkorganisation die disziplinarischen Führungshierarchien abgeschafft und ein System von sich selbst organisierenden Teams eingeführt. Wie hat sich die Sparkasse dadurch verändert? Ein erstes Zwischenfazit.
Verantwortungsbewusste Unternehmensführung ist ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit. Dazu gehört auch, wie ein Unternehmen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht, wie es ihre Fähigkeiten und Talente einsetzt und weiterentwickelt, und was es dazu beiträgt, ihre Gesundheit, finanzielle Sicherheit und Lebensqualität abzusichern. Auch die Menschen, die in einem Betrieb arbeiten, ihre Fähigkeiten, Talente und Kenntnisse einbringen, sind eine wichtige Ressource, die es schonend und sorgfältig einzusetzen gilt.
Die Sparkasse Bremen hat dieses Thema ganz oben auf ihre Zukunftsagenda gesetzt: In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie ist der Aspekt „Mensch“ einer von vier Schwerpunkten – neben Natur und Umwelt, Produkte und Dienstleistungen sowie Transparenz. „Uns ist es wichtig, ein verantwortungsvoller Arbeitgeber zu sein“, sagt der Vorstandsvorsitzende Dr. Tim Nesemann. „Förderung der Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind bei uns selbstverständlich. Auch die fortlaufende Qualifizierung der Mitarbeitenden, wozu auch die Vermittlung des Themas Nachhaltigkeit gehört, sowie die Nachwuchssicherung durch zahlreiche Auszubildende in insgesamt fünf Ausbildungsberufen haben einen hohen Stellenwert.“
Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität
Dieses Verantwortungsbewusstsein hat eine lange Tradition in Bremen: Schon vor 20 Jahren begann die Sparkasse damit, Mitarbeitende mit familienfreundlichen Maßnahmen zu binden, etwa mit flexiblen Teilzeitlösungen auf Vertrauensbasis. Seit 2019 gibt es außerdem die Möglichkeit, mobil im Homeoffice zu arbeiten, dabei die eigene Arbeitszeit in Eigenregie zu erfassen und zu gestalten und sich lediglich an den Ergebnissen messen zu lassen. Dass man frühzeitig Strukturen zur Stärkung von Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität aufgebaut hat, hat sich in der Corona-Pandemie bewährt: Da konnte sich die Sparkasse schnell und effizient auf Lockdown und Quarantäne einstellen.
Die im Dezember 2019 veröffentlichte neue Unternehmensverfassung der Sparkasse Bremen ist nun ein weiterer Schritt in Richtung Zukunft: Sie sieht eine „grundlegende Neuausrichtung hin zur agilen Netzwerkorganisation“ vor. Dazu schafft sie die bisher etablierten internen disziplinarischen Hierarchien ab und verlangt, dass „alle Mitarbeitenden und Teams in der Sparkasse in einem verbindlichen und klar kommunizierten Rahmen selber entscheiden, was sie erledigen können und wie sie dies am besten tun“. Nach Auffassung der Sparkasse führt das „zu mehr Eigeninitiative, zu schnelleren Entscheidungen und zu mehr Flexibilität“, ebenso „zu mehr Kollegialität, mehr sinnstiftenden Tätigkeiten und damit einer größeren beruflichen Erfüllung bei allen Mitarbeitenden“. Dabei gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie für alle anderen Sparkassen. So müssen selbstverständlich alle rechtlichen und regulatorischen Vorgaben erfüllt werden. In einer kooperativ ausgerichteten Organisationsstruktur haben die Übernahme von Verantwortung und die Sicherstellung von Zielen genauso ihren Platz, wie der größere Freiraum für Experimente und Innovationen.
Die eigene Organisation neu erfinden
Die Sparkasse Bremen folgt damit einem Konzept für die Zukunft der Arbeit, das bei mehr und mehr Unternehmen Raum gewinnt. Maßgeblich formuliert hat es der Wirtschaftsphilosoph Frédéric Laloux in seinem Buch „Reininventing Organisations“, das in der Unternehmensverfassung der Sparkasse auch ausdrücklich erwähnt wird. Laloux’s These: Die Zukunft gehört selbstführenden Organisationen – also Unternehmen, die nicht mehr hierarchisch strukturiert sind, sondern aus vielen flexiblen Teams bestehen, die selbstbestimmt handeln und Lösungen für Probleme entwickeln können. Diese Flexibilität ist notwendig geworden in einer Welt, die sich ständig und dynamisch verändert. Langfristige Planung und Berechenbarkeit nehmen rapide ab, Fragestellungen und Problemlagen werden komplexer und mehrdeutiger. Die starren Organisationsformen der Vergangenheit sind nicht mehr in der Lage, auf diese Herausforderungen mit der notwendigen Schnelligkeit und Effizienz zu antworten.
Ein wichtiger Aspekt für Laloux: Selbstorganisation bedeutet nicht Anarchie oder Regellosigkeit, sondern eine sorgfältige Balance von Delegation und Regelhaftigkeit, von Kontrolle und Selbständigkeit. Damit Selbstorganisation funktioniert, benötigen Unternehmen außerdem einen „evolutionären Zweck“, das heißt einen Antrieb für die Unternehmensentwicklung, der jenseits dem reinen Geldverdienen und der Steigerung ihrer Marktanteile liegt.
In der Unternehmensverfassung der Sparkasse Bremen sind diese Aspekte im ersten Kapitel formuliert. Dort geht es um die Mission, die Vision und die Werte der Sparkasse: „Wir wollen der beste Finanzdienstleister für die Menschen und für Unternehmen in Bremen sein“, heißt es darin etwa, und „in Gemeinschaft mit unseren Kunden allen die Gelegenheit geben, ein harmonischeres und erfolgreicheres Leben zu führen“. Das sind keine neuen Themen für die Sparkasse: An diesen Werten orientiert sie sich schon seit ihrer Gründung als Bürgerinitiative im Jahr 1825. Es mag auf den ersten Blick also trivial erscheinen, solche Aspekte explizit zu formulieren. Aber sie liefern doch wichtige Bausteine für ein Handlungsgerüst, dass den Bewegungsspielraum für Teams und Mitarbeitende definiert. In der Unternehmensverfassung der Sparkasse Bremen werden dementsprechend die Regeln vorgegeben, nach denen die Zusammenarbeit in und zwischen den Teams funktioniert. Welche Themen, Inhalte und Ergebnisse dort erarbeitet werden, entscheiden die Teams jedoch eigenverantwortlich.
Umsetzung auf allen Ebenen
Was die Verfassung des Unternehmens in Schriftform formuliert, hat die Sparkasse Bremen in ihrem neuen Hauptgebäude baulich umgesetzt. Der fünfgeschossige Neubau, im Technologiepark nahe der Universität gelegen, zeichnet sich durch ein offenes Bürokonzept aus. Klassische Einzel- oder Doppelbüros gibt es dort nicht mehr, stattdessen können die 600 Mitarbeitenden, die hier beschäftigt sind, in Teams fachübergreifend und agil zusammenarbeiten, ohne störende Barrieren. „Der Markt wandelt sich schnell, die Wünsche und Ansprüche unserer Kundinnen und Kunden auch“, sagt Dr. Nesemann. „Da müssen wir vernetzter, interdisziplinärer an den Themen arbeiten.“
Der Neubau ist zugleich eine tragende Säule der Nachhaltigkeitsstrategie der Sparkasse: Das Gebäude wird im Wesentlich nachhaltig mit Energie durch Fernwärme, Solarstrom und Geothermie versorgt und wurde dafür bereits mit dem Platin-Zertifikat ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Zudem bietet es den Mitarbeitenden zahlreiche Anreize für nachhaltiges Verhalten im Alltag: Es gibt ausreichend Fahrradstellplätze und Duschen, Ladestationen für E-Bikes, eine optimale Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und Kooperationen mit Anbietern von Car-Sharing und Job-Tickets.
Die Pandemie hat den Start in die neuen Arbeitswelten etwas herausgezögert, weil der Neubau nur Zug um Zug bezogen werden konnten. Aber die ersten Rückmeldungen stimmen Jörg-Uwe Pfeiffer optimistisch. Er arbeitet als Senior Manager Personalentwicklung im Funktionsteam Personal und war im alten Hierarchiemodell selber eine disziplinarische Führungskraft: „Das neue Konzept ist sicher für manche noch etwas ungewohnt, weil der Vorgesetzte wegfällt, der immer entschieden hat, was zu tun war. Aber andere Mitarbeitende sind dadurch wie entfesselt, übernehmen in den Teams Verantwortung und bilden sich im Digitalen weiter.“
Positive Strahlkraft nach außen
Die Pandemie hat den Start in die neuen Arbeitswelten etwas herausgezögert, weil der Neubau nur Zug um Zug bezogen werden konnten. Aber die ersten Rückmeldungen stimmen Jörg-Uwe Pfeiffer optimistisch. Er arbeitet als Senior Manager Personalentwicklung im Funktionsteam Personal und war im alten Hierarchiemodell selber eine disziplinarische Führungskraft: „Das neue Konzept ist sicher für manche noch etwas ungewohnt, weil der Vorgesetzte wegfällt, der immer entschieden hat, was zu tun war. Aber andere Mitarbeitende sind dadurch wie entfesselt, übernehmen in den Teams Verantwortung und bilden sich im Digitalen weiter.“